Heute nimmt euch Claudia mit auf einen Spaziergang durch das SOS Kinderdorf in Lembang, Java.
Ein Beitrag von Claudia Singer
Enja vergräbt ihr Gesicht in einem pinken Plüschbären. Er ist ihr ein und alles. Und eigentlich ist der Bär ein Mädchen: Bety heißt sie und Enja geht nirgends ohne sie hin. „Normalerweise dürfen die Kinder keine Plüschtiere mit nach draußen nehmen“, sagt ihre SOS-Mutter Insihani, „aber bei ihr machen wir eine Ausnahme.“

Enja läuft zu uns. Wir stehen vor dem Gemeindehaus des SOS-Kinderdorfs Lembang. Das Dorf liegt in den Bergen, fällt steil ab, Stufen führen zu den einzelnen Häusern, die am Hang gebaut sind. Dichte Baumkronen verdecken den Blick auf die Kinderdorfhäuser.
In der Ferne ein Donner, Blitze klettern über die Vulkangipfel, die das Dorf umgeben. Einer davon ist immer noch aktive und spuckt Schwefel und Asche. Man nennt ihn Tangkuban Parahu – umgedrehtes Boot, denn so sieht er aus.
Es ist Regenzeit. Aber noch ist kein Tropfen gefallen. Zwei größere Jungs versuchen zu zweit auf einem Skatboard einen kleinen Berg hinunter zu fahren. Zwei andere spielen Luftgitarre und singen dazu. Der Wachmann des Kinderdorfs sieht ihnen zu, lacht und macht sein tragbares Radio lauter.
Jetzt tanzen die Kinder, sie schütteln ihre Schultern. Auf der Treppe zum Kindergarten sitzt ein Mädchen in Schuluniform und liest einen Liebesroman.

Beatrice tritt zu uns. Sie ist Erzieherin und lädt uns zu ihrem einen Vortrag über Sexualerziehung. „Die Kinder müssen frühzeitig Bescheid wissen“, sagt sie. „Und nicht nur, weil sie sonst ungewollt schwanger werden. Es ist wichtig, dass sie über ihren Körper Bescheid wissen.“
In dem kleinen Raum mit dem großen Bücherregal sitzen 25 Kinder vor Beatrice‘ PowerPoint-Projektion auf dem Teppich, Mädchen und Jungen, Muslime und Christen, alle ab 12 Jahren.
In ihrem Vortrag geht es aber nicht nur um die körperlichen Veränderungen, die die Kinder in der Pubertät durchmachen, sondern auch darum, dem Wort „Liebe“ auf die Spur zu kommen. „Man kann seine Liebe auch anders zeigen“, sagt Beatrice, „man kann sich Geschenke, Komplimente machen. Was bedeutet Liebe? Erzählt doch mal.“
Die Kinder kichern, trauen sich nicht zu antworten, zwei Mädchen machen Kussgeräusche. Dann erklärt Beatrice den Mädchen, dass man sich nicht alles gefallen lassen muss: „Ih! Ih!“ sollen die Mädchen rufen und weg laufen, wenn ihnen eine Mann zu Nahe tritt.
„Viele Mädchen können diesen inneren Konflikt nur schwer lösen: Auf der einen Seite freuen sie sich, dass sie hübsch genug sind, dass ein Mann sie berühren möchte. Auf der anderen Seite sollen sie aber bestimmen, wie weit er gehen darf“, erklärt sie uns später.

Nach dem Vortrag begleiten uns Patrice und Vio, zwei Mädchen, die auf den ersten Blick wie freche Jungs aussehen mit ihren kurzen Haaren und viel zu weiten Shorts und T-Shirts, zu ihrem Haus. Sie zeigen uns ihre Hochbeete, in dem sie Erdbeeren züchten.
Dann rennen sie die herum und spielen Fangen. „Noch denken die beiden nur an Sport“, lächelt Patrices SOS-Mutter Jola.
Vio ist eine sehr gute Schwimmerin und Patrice eine ausgezeichnete Sprinterin. Die beiden sind Freundinnen, unzertrennlich.
„Patrice kam ins Kinderdorf als sie 18 Monate alt war“, erzählt Jola weiter. „Ihre Mutter brachte sie in Jakarta in einem Geburtshaus zur Welt. Sie war von einer Affäre schwanger geworden, der Mann war längst über alle Berge.“ Sie brachte Patricia, wie sie eigentlich heißt, ins SOS-Kinderdorf Lembang.
Als Patrice vier Jahre alt war, erzählte ihr ihre SOS-Mutter Jola, warum sie im Kinderdorf war. „Sie hat Wochen gebraucht, um damit zu Recht zu kommen, auch heute hadert sie noch mit ihrer Geschichte. Sie ist oft wütend und manchmal sehr eifersüchtig auf ihre kleineren Geschwister.“

Patrice versucht ihre Wut mit Sport zu mildern. Als Sprinterin hat sie schon mehrere Pokale gewonnen und beim Fußball ist sie eine mutige Stürmerin. Außerdem spricht sie sehr gut Englisch.
„Ich sehe mir gerne die Serien und Filme an“, sagt sie. „und singe ich gerne.“ Sie hat in der Tat eine klare, kräftige Stimme, als sie uns ein Lied von Miley Cyrus vorsingt. Vio stimmt mit ein, zusammen versuchen sie, das Lied zu Ende zu singen, brechen aber nach den ersten Takten in Gelächter aus.
Vios Mutter hat den Kontakt nicht abgebrochen: Sie besucht Vio jedes Jahr an ihrem Geburtstag. „Danach ist Vio immer völlig konfus“, sagt Jola. „Sie versteht nicht, warum sie hier ist. Ihre Mutter hat wieder geheiratet und nun zwei Kinder mit einem andern Mann. Und auch die kamen vor einem halben Jahr ins Kinderdorf. Vio weiß nicht, wie sie damit umgehen soll.“
„Ich kam ins Kinderdorf, da war ich eine Woche alt“, erzählt Vio. „Und was ich hier sehr mag ist, dass man so viel machen kann. Ich schwimme, trommle, spiele Fußball, singe. Das macht mir Freude!“
„Und die schöne Aussicht!“ ruft Patrice dazwischen. Mit einer einladende Geste weist sie uns auf das in der Abenddämmerung liegende Lembang hin, das glitzernd im Tal liegt, von Regenwald umgeben.

Mittlerweile ist es still geworden im SOS-Kinderdorf Lembang. Die Kinder, die gerade noch auf dem Platz gespielt haben, sind beim Abendessen. Jede Familie isst gemeinsam zu Abend. Später räumen diejenigen auf, die Tischdienst haben.
Die anderen machen die Küche sauber. Bevor die Kinder zu Bett gehen, duschen sie oder werden von ihren Mütter gebadet.
Enja vergräbt ihr Gesicht in ihrem pinken Bären Bety. Grillen singen. Ein Gecko schnattert. Vio stellt sich vor, wie sie im Schwimmbad vom Sprungbrett springt – und fliegt, bis sie im Wasser landet. Patrice träumt von der der Aussicht im Kinderdorf.
Und von den Vulkanen. Schön warm ist es ihn ihrem Bett. Und morgen wird sie wieder Tore schießen, auf dem Fußballplatz im SOS-Kinderdorf Lembang.

Wenn dir der Beitrag gefallen hat und du mehr über Indonesien erfahren möchtest, folge uns auch auf Facebook oder abonniere unseren Newsletter. Alle wichtigen Infos für deine Reise in Indonesien findest du in dem Beitrag „Alle Tipps für deine Reise nach Indonesien.“
Schreibe einen Kommentar