Ein Beitrag von Collin Key
Tentena ist für die meisten Traveller nur ein angenehmer Zwischenstopp auf der langen und anstrengenden Busreise von Rantepao (Tana Toraja) nach Ampana, wo die Schiffe zu den Togian Inseln abfahren.
Aber wenn ihr schon dort seid, solltet ihr unbedingt das Dodoha Mosintuwu Institut besuchen. Gegründet wurde es von der bekannten Feministin und Friedensaktivistin Lian Gogali.
Hinter Bäumen und hohem Schilf schmiegt sich das Gebäude ans Ufer des Poso Sees, ein wahres Wunderwerk der Bambusarchitektur. Mit seinem Cafe und Restaurant ist dies der ideale Ort um auszuspannen.
Oder um sich zu informieren über die sozialen und religiösen Konflikte, die für den normalen Besucher unsichtbar unter der idyllischen Oberfläche der Gegend schwelen.
Oder man macht einfach beides.

Konfliktzone – oder doch nicht?
1998 und erneut im Jahr 2000 kam es in diesem Teil Sulawesis zu einer blutigen Auseinandersetzung zwischen islamischen und christlichen Gruppen.
Das Zentrum der grausamen Gemetzels war die 50 km entfernt gelegene Distrikthauptstadt Poso. Mehr als tausend Menschen wurden damals getötet. Christliche Familien aus Poso flohen ins mehrheitlich christliche Tentena, während die meisten Muslime ihr Heil in entgegengesetzter Richtung suchten.
Zusätzlich angeheizt wurden die Kämpfe durch, von außen eingesickerte, islamistische Fundamentalisten.
Damals wurde der Distrikt Poso offiziell zur Konfliktzone erklärt. Heute ist davon nichts mehr zu spüren.
Dem ausländischen Besucher erscheint das Leben dort harmonisch und friedlich. Der Eindruck ist nicht falsch, aber wohl doch nur die halbe Wahrheit.
Und rein offiziell trägt Tentena auch heute noch den Stempel „Konfliktzone“.

Zu Besuch im Mosintuwu Insitut
Beim ersten Mal liefen wir einfach dran vorbei. Im Lonely Planet stand kein Wort über das Institut.
Nur der Sulawesi Führer von Indojunkie erwähnte die Aktivistin Lian Gogali und ihr Institut im Abschnitt über Tentena.
Auf Google Maps ist “Mosintuwu” sogar vermerkt, aber uns war gar nicht klar, dass wir genau danach suchten. Ohne allzu große Hoffnung bogen wir dann doch auf einen kleinen Feldweg hinter einem Bambustor ein, der einfach nur ins Grüne zu führen schien.
Umso größer dann die Überraschung am Ende des Pfads. Ein beeindruckend großes Gebäude ragte aus dem Laub der Umgebung, eine reine Bambuskonstruktion von verwirrender Form. Eher ein Kunstwerk als ein normales Haus.
Und daneben, kleiner und einfacher, ein weiteres Gebäude, durch dessen langgezogenes Fenster ich eine schmale Gestalt mit Kopfhörern ausmachte. „Radio Mosintuwu“ verkündete ein Schild in fröhlichen bunten Buchstaben.


Das Radio Mosintuwu in Tentena
“Kann ich euch helfen?”
Eine junge Frau, die sich als Susan vorstellte, kam auf uns zu. Nachdem wir erklärt hatten, absolut ahnungslos aber voller Neugierde hier her gekommen zu sein, bot sie uns sofort eine kleine Führung an.
Als erstes zeigte sie uns die Radiostation.
Eine junge, blonde Frau signalisierte uns, den von warmem Licht durchfluteten Senderaum zu betreten.
Barfuß saß sie hinter einem Berg aus Computern, Kabeln und Mikrofon und schickte irgendeine fröhliche Melodie in den Äther. Alles in diesem Sender erschien fröhlich, wenngleich ich beim Anblick der bunten Wandbemalung unwillkürlich an Kindergarten-Ästhetik denken musste. Aber das ist mitnichten despektierlich gemeint. Die Freude war durchaus ansteckend.

Wir gehen gemeinsam!
Dann führte Susan uns ins Hauptgebäude. Dort gibt es Büros, Seminarräume, eine Bibliothek und ein großes, für jedermann zugängliches Cafe und Restaurant mit herrlichem Blick auf den See.
Aus der Ferne hat das Institut die Form eines großen dicken Fisches, drinnen aber steht man inmitten eines verwirrenden Formengeflechts aus Bambusstäben.
Gemeinsam tranken wir Tee und löcherten Susan dabei mit Fragen.
Sie sei eine von sieben ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen, erklärte sie uns. Hinzu kämen drei, die verantwortlich seien fürs Radioprogramm. Drei Männer gebe es unter den Mitarbeitern, alle andere seien Frauen.
Dann erklärte sie uns den Namen des Instituts.
„In der lokalen Sprache Pamona bedeutet „mosintuwu“ in etwa „wir gehen gemeinsam“.“ Dieser Name bringt den Zweck des Instituts auf den Punkt: Gemeinsam durch eine Zeit und eine Zone der Konflikte gehen, auf einem Weg zum Frieden.

Lian Gogali – die furchtlose Kämpferin
„Ich glaube, ihr solltet Lian selbst treffen,“ meinte Susan schließlich. „Sie wird euch so viel mehr erklären als ich das kann.“
Wir verabredeten ein Treffen für den nächsten Tag.
Heute also werden wir Lian Gogali treffen, die Trägerin des Coexist-Preises von der gleichnamigen britischen Coexist Foundation. Das habe ich am Abend noch in Internet recherchiert. Wir sitzen wieder im Cafe, genießen die herrliche Aussicht und warten.
Dann steht Lian vor uns und ich bin wahrlich überrascht. Die furchtlose Kämpferin gegen die zerstörerische Wut und den blinden Eifer ist eine kleine Frau mit rundem Gesicht, und sie geht – seit einem Verkehrsunfall vor vielen Jahren – auf Krücken.
Und doch strahlt Lian eine mitreißende Energie aus. Sie setzt sich zu uns und mustert uns mit hoch konzentriertem Blick. Für Smalltalk hat sie offensichtlich nichts übrig und so sind wir sofort beim Thema: Wie schafft man aus dem Nichts eine so beeindruckende NGO wie Mosintuwu?

Lians Geschichte
„Ich wurde in einem kleinen Dorf nahe Poso in eine christliche Familie geboren,“ erzählt Lian. „Viele meiner Verwandten waren aber auch Muslime. Das ist hier bei vielen Familien so.”
1997 verließ Lian ihr Dorf, um in Yogyakarta auf Java Theologie zu studieren. Als sie zwei Jahre später zur Beerdigung ihres Vaters nach Sulawesi zurückkehrte, herrschte Chaos in ihrer Heimat.
Es war kurz nach dem ersten Gewaltausbruch, Häuser waren zerstört, viele Menschen ermordet worden. „Auch in meiner Familie hatte es Tote gegeben, das Haus meiner Schwester war abgebrannt.“
Lian kehrte nach Yogyakarta zurück, aber ihr akademischer Blick hatte sich verändert. Sie wandte sich soziologischen Fragen zu, wollte verstehen, wie es möglich ist, dass Religionen sich für solch brutale Auseinandersetzungen instrumentalisieren lassen.
2002 war Lian wieder in Sulawesi, diesmal um ihre akademische Abschlussarbeit zu schreiben. Die erneuten Kämpfe, zusätzlich aufgeheizt durch jihadistische Kämpfer von außerhalb, hatten eine Welle der Binnenmigration im Poso Distrikt ausgelöst. Überall suchten verzweifelte Menschen Schutz in Gebieten, in denen ihre jeweilige Konfession in der Mehrheit war. Lian betrieb Feldforschung in einem der zahlreichen Flüchtlingscamps.
„Immer wieder war ich überrascht und tief berührt von den Berichten der Mitmenschlichkeit, die ich da hörte. Zumeist waren es Frauen, die Freunden und Nachbarn geholfen hatten, den Massakern zu entkommen.
Christen, die Muslime in ihrem Haus versteckten, oder Muslime, die ihre Nachbarinnen in Burkas wickelten, um die Angreifer zu täuschen.
Schließlich war Lians Einsatz vor Ort beendet und sie bereitete sich auf ihre Rückkehr nach Java vor. „Da kam eine alte Frau auf mich zu,” erinnert sich Lian, „und sie fragte mich: ‚Und nun? Was hast du jetzt vor?‘“
„Ich werde alles, was ich gesehen habe, als Buch veröffentlichen. Die Welt soll sehen, was hier geschieht.“
Die Frau blickte traurig in Lians Augen: „Und wir werden allein hier zurückbleiben. Und nichts wird sich ändern.“
Lian hat diese Episode in vielen Interviews beschrieben. Das kurze Abschiedsgespräch wurde ein Schlüsselmoment in ihrem Leben. Die Erinnerung ließ sie nicht wieder los. In ihr reifte der Entschluss, das bequeme akademische Leben aufzugeben und mit den Menschen vor Ort für den Frieden zu kämpfen.
Das hört sich jetzt allerdings leichter an, als es war. In der Zwischenzeit hatte Lian ein kleines Mädchen geboren. Niemand in ihrer Familie sollte davon wissen. Im liberalen akademischen Umfeld Yogyakartas kann eine Frau als alleinerziehende Mutter durchaus leben. Aber im tief konservativen Zentrum Sulawesis galt das als unakzeptable Schande.
Lian kehrte dennoch nach Poso zurück. Und sie verweigerte sich auch dem Vorschlag, welchen ihre Familie sich zur Lösung des Skandals ausgedacht hatte: Sie solle ihre Tochter Sophia ihrer älteren und verheirateten Schwester zur Adoption geben.
2008 schließlich gründete Lian Gogali das Mosintuwu Institut. Von Anfang an stand die Frauenbildung im Zentrum der Aktivität, denn „Frauen sind in Poso die am stärksten vernachlässigte Quelle für religiöse Toleranz und Frieden.“*
*Zitat aus einem Interview des Berkeley Center for Religion, Peace and World Affairs (s.u.)
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Die Projekte des Instituts
In schneller Folge zählt Lian die Projekte des Instituts auf.
Frauen werden in ihren sozialen und politischen Rechten geschult. In Rhetorik-Kurse lernen sie, sich gegen die männliche Sprach-Dominanz in den lokalen Dorfgremien durchzusetzen.
Die Gründung von Kleinstunternehmen wird unterstützt. Interreligiöse Dialoge werden organisiert. Eine Kinderbuch-Bibliothek weckt die Neugierde und den Wissensdrang der Kleinen. Frauenhäuser wurden eingerichtet zum Schutz vor männlicher Gewalt. Und noch vieles, vieles mehr.
„Aber inzwischen herrscht Frieden in der Gegend?“, frage ich. „Oh ja, es ist ruhig. Ich weiß nicht, in wessen Interesse es liegt, dass Poso immer noch als Konfliktzone gilt.“ Das heißt aber nicht, dass die Gefahr ein für allemal gebannt sei, erläutert uns Lian. „Es geht immer um Interessen. Und die ehemaligen Kämpfer sind nicht einfach weg. Es gibt sie noch im Geheimen, bereit zuzuschlagen, wenn der richtige sie ruft.“
Ich frage Lian, auf wie viel Widerstand sei bei all ihrer Arbeit trifft. Eine solcher Angriff auf das traditionelle patriarchalische System – das kann doch nicht einfach gut gehen. Klar gebe es Widerstände, sagt sie. Vor allem, wenn Leute um ihre Privilegien fürchten müssten. Aber sie kämen damit klar.
„Neulich wurde ich in Regierungskreisen Jakartas ‚Sezessionistin‘ genannt. Im Vielvölkerstaat Indonesien ist dies ein gefährliches Label. Lian zuckt die Schultern: „Lass sie reden.“
2012 wurde Lian für ihren Einsatz mit dem Preis der britischen Coexist Foundation geehrt. Mit dem Preisgeld beauftragte sie einen balinesischen Künstler und Bambus-Architekten, Mosintuwu eine eigene und eindrucksvolle Heimstatt zu geben.
Direkt neben dem Institut steht ein weiteres auffälliges Bambushaus. Hier wohnt die Gründerin gemeinsam mit ihrer Tochter Sophia. Einige Zimmer vermietet sie an Touristen. „Ich möchte in Tentena den ökologisch nachhaltigen Tourismus einführen,“ strahlt Lian.

Tentenas berühmte Fischfallen
Gibt es irgendeinen Kampf um Verbesserungen, den sie nicht aufgenommen hat?
„Habt ihr die Fischfallen gesehen?“
Diese Frage überrascht mich. Natürlich haben wir die Bambus-Konstruktionen gesehen, die sich quer durch den Fluss ziehen. Diese Barrieren sind einer der augenfälligsten Anblicke von Tentena – dass es sich dabei um Fischfallen handelt, haben wir bis dahin nur vermutet.

„Zurzeit kämpfen wir für den Erhalt dieser Fallen. Das ist eine ganz alte Tradition in Tentena.“
Lian erklärt uns, dass die Regierung und einige Investoren sich auf den Bau eines Staudamms am Poso Fluss geeinigt hätten.
„Sie versprechen uns ein blühendes Freizeit- und Badeparadies. Aber die Fischfallen sollen weg. Und die alte Holzbrücke ebenfalls“ – ein weiteres Wahrzeichen Tentenas.

„Wollen wir zusammen hinfahren, uns das ansehen?“
Es dauert keine Stunde, da hat Lian ein Boot organisiert, und obendrein ein kleines Filmteam. Unvermittelt sind wir nicht mehr die Beobachter, sondern Teil einer Kampagne.
In der Mitte des Flusses angekommen, erklimmen wir die Fallen über eine steile Bambusleiter. Auch Lian quält sich hinauf, trotz ihrer verletzten Beine.
Oben wartet schon einer der Fischer auf uns. Er erklärt uns die traditionelle Aalfang-Methode. Seit Menschengedenken leben die Fischerfamilien von den gemeinsam genutzten Vorrichtungen. Unterstützt von den Mosintuwu Frauen wollen sie jetzt deren Zerstörung verhindern.

Bevor es zurück geht, bittet uns Lian, noch ein kurzes Statement in die Kamera zu sprechen.
„Warum kommt ihr den weiten Weg nach Tentena? Was interessiert euch hier im Herzen Sulawesis?“
„Nun,“ ich suche nach Worten, „sicherlich die unberührte Landschaft. Und ja, wir wollen das wahre Leben kennenlernen. Um schöne Strände zu finden und Unterhaltung, dafür könnten wir natürlich nach Bali fahren, das wäre einfacher. Aber das echte Indonesien, das finden wir doch eher hier.“
Ich bemerke, wie Lian, die hinter dem Kameramann steht, zufrieden lächelt. Offensichtlich hatte sie auf eine solche Antwort gehofft. Ein paar Worte nur, eine kleine Wertschätzung dessen, wofür sie und ihre Frauen und männlichen Mitstreiter kämpfen.
Nicht viel.
Aber Lian Gogali ist für jede Unterstützung dankbar.

Mehr Infos zu Lian und Tentena
Ein ausführlicher Bericht zu Lian Gogali, geschrieben von Devi Asmarani, findet sich in der Online-Ausgabe von “Magdalene”.
Auch das “Berkley Center for Religion, Peace and World Affairs” veröffentlichte ein in die Tiefe gehendes Interview mit Lian.
“When the war ends, a woman’s fight begins” ist der Titel eines Dokumentarfilms über Lians Kampagne von Sue Useem.
Der Saluopa Wasserfall und Hindu Dörfer in der Nähe sind weitere besuchenswerte Ziele in der Umgebung von Tentena.
Agus Tohama ist ein erfahrener Führer ins Bada Tal mit seinen berühmten uralten monolithischen Figuren (er stammt von dort).
Auch eine Überquerung der Berge im Lore Lindu Nationalpark mit anschließender Weiterfahrt nach Palu ist möglich. Verbindung zu Agus kann man über Dodoha Mosintuwu aufnehmen.

Text und Fotos: Collin Key

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