Ein Beitrag von Michael Leitzinger
Vielen Sulawesi Reisenden ist die indonesische Provinz Gorontalo mit ihrer gleichnamigen Hauptstadt wohl ein Begriff. Fährt doch die Fähre KMP Tuna Tomini jeden Dienstag und Freitag in ca. 12 Stunden nach Wakai auf die Togian-Inseln, einer mitlerweile beliebten Touristendestination.
Von der Fähre aus sieht man eine dicht bewaldete Gebirgskette, die sich von Osten nach Westen zieht. Bis zu 1.770 Meter erhebt sich der höchste Gipfel des Huido Boliyohuto Gebirges. Der dichte Dschungel ist die Heimat von zahlreichen, endemischen Helmhornvögeln, den schwanzlosen Heck Makaken und den gremlinartigen Koboldmakis.
Doch tief im Herzen des Urwaldes, weit von westlicher Zivilisation, lebt ein Volk, dass sich Polahi nennt.

Viele Erzählungen ranken sich um diese Menschen, die im 18. Jahrhundert beschlossen hatten, die unzugängliche Bergwelt zu besiedeln, um die auferlegten Steuern der niederländischen Kolonialverwaltung zu umgehen. Fortan nannte man sie Polahi, was Flüchtlinge bedeutet.
Es war im November 2012 und Regenzeit, als wir den Ort Bina Jaya, von dem einst die Polahis “flüchteten”, nach einer sehr langen Anreise endlich erreicht hatten. Die Flüsse führten erheblich Wasser und die ständigen Regengüsse trommelten auf die Wellblechdächer der Häuser.
Wir registrierten uns beim Bürgermeister und fuhren bis nach Pilomoluta, wo die Straße endete. Dort trafen wir auf Pak Odin Mole. Dieser Mann, so erzählte man uns zuvor, würde den Ort Mumuhulo kennen, der in der Polahi-Sprache als “Kalter Platz” bezeichnet wird. Hitze und Schwüle ist für die Polahi nämlich unerträglich.
Doch es war in keinster Weise ein einfaches Unterfangen, diese Weltabgeschiedenheit – über schmale, schlammige Pfade die steil bergauf und bergab führten – zu erreichen.
Insgesamt mussten wir sechs Flüsse durchwaten und durchschwimmen. Affen tobten in den Bäumen rechts und links entlang der Route und die unterschiedlichsten Vogelstimmen drangen aus allen Stockwerken des Urwaldes.
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Die Dreifaltigkeit
Jeden gläubigen Christ ist die Dreifaltigkeit, der Glaube an einen Gott in drei Personen, ein Begriff. Gott Vater – der Schöpfer der Welt, Gott Sohn – der Erlöser der Welt und Gott Heiliger Geist – der Erhalter der Welt.
Auch die Polahi glauben und gehorchen einer Dreifaltigkeit oder anders ausgedrückt an ihre Polahi-Kosmologie. Jedoch sind es bei ihnen drei verschiedene Götter:
Pulohuta – der Gott, der als lebendige Menschengestalt dargestellt und für die Fruchtbarkeit der Äcker und als der Urgott verehrt wird. Wenn die Polahis eine neue Ackerfläche anlegen, bitten sie Pulohuta um seinen Segen.
Lati – er soll kleinen Lebewesen ähneln und Baumwipfel bewohnen. Bevor ein Baum gefällt wird, beten sie ihn an und bitten darum, dass er den Wipfel verlässt.
Der dritte und der böse unter ihnen – Lausala – möchte die Polahi stets töten. Sie beschreiben ihn als äußerst blutrünstig und es ist gut, wenn man ihn nicht begegnet und wenn doch, ist es meistens zu spät.

Endlich angekommen, doch niemand war zuhause. Der Platz, an dem Odin zuletzt die Polahi angetroffen hatte ist verwaist. Die Nomaden sind weiter gezogen.
Wahrscheinlich ist ein Familienmitglied gestorben. Denn das heißt für den Rest der Familie die Behausung zu verlassen und weiterzuziehen um einen neuen Ort zu finden, an dem sie fortan siedeln.
Wächter des Regenwaldes…

… werden die Polahis genannt.
Sie entnehmen nur was sie zum Überleben brauchen.
Selbst die seltenen und streng geschützen Makaken, Hammerhühner und Helmhornvögel, die anderswo als teure Delikatessen gehandelt werden, sind für die Waldbewohner ein Tabu. Auf Schweinefleisch verzichten sie, da der Verzehr zu Hautreizungen führen kann, sagen sie.

Mit geflochtenen Reussen, Tingopos genannt, fangen sie Fische und Süßwassergarnelen in Bächen, die sie zu Sago und Süßkartoffeln verzehren.
Ein gutes Stück weiter trafen wir auf ein lang gestrecktes Wohnhaus mitten auf einem Bergsporn. Eine Frau saß vor der Hütte und flechtete einen Korb. Mit großen Augen schaute sie uns an. Sie war sich sehr unsicher, ob sie weglaufen sollte oder uns willkommen zu heißen. Die Hand zur Begrüßung reichte sie uns jedoch nicht.
Pak Odin beruhigte sie mit ein paar Brocken Polahi. Sie hieß Tahaniu und erzählte Odin, dass die anderen Familienmitglieder gerade im Wald Sago gewinnen. Als Gastgeschenk brachten wir u.a. Salz aus Gorontalo mit. Urplötzlich verschwand sie im Grün des Regenwaldes und kam mit ihrem Clan nach einer Weile zurück.

Vorne weg Baba Manio, das Oberhaupt und Vater von Timani, Pilomonu, Laia und Buta. Schwer bepackt waren sie. Feuerholz trugen sie unter den Armen und dicke lange Bambusröhren mit denen sie das Trinkwasser transportierten.
Langsam war das Eis gebrochen und wir durften ein paar Tage in ihrer Gesellschaft bleiben. Baba zeigte uns den Fischfang mit Reussen und seine Kinder, wie man die Felder bestellte.
Tolerierte Inzucht
Während unseres Aufenthaltes erfuhren wir von den Ehen innerhalb der Familien, die bei den Polahi toleriert wurden und werden und man auch offen darüber spricht. Schlagzeilen innerhalb Indonesiens machten sie erst kürzlich bzgl. des Heiratssystems, welches Männern erlaubt, ihre leiblichen Mütter zu heiraten.
Genaue Informationen über die verbleibenden Gruppen ist dato nicht bekannt. Die Anzahl der noch im Wald lebenden Polahis sinkt allmählich. Es entscheiden sich immer mehr zu einer Heirat mit einem nicht blutsverwandeten Dorfbewohner oder einer Dorfbewohnerin aus Bina Jaya und den umliegenden Orten.
Aus wissenschaftlicher Sicht
Die neusten Erkenntnisse über dieses Volk veröffentlichte der Wissenschaftler Marahalim Siagian, der zusammen mit einem Forscherteam das Ehesystem Ende 2016 beleuchtete.
Man muss das Polahi-Ehesystem aus dem Blickwinkel der Wissenschaft und unter dem medizinischen Aspekt betrachten. Kein Kind sei aus den inzestuösen Ehen geboren worden. Diese kann als Überlebensmaßnahme gesehen werden, wenn man bedenkt, dass oft mehr männliche als weibliche Familienmitglieder eine Gemeinschaft hat,
so Pak Siagian.
Die Forschung, fügte er hinzu, bestätigte auch, dass nicht alle Dinge bezüglich der Polahi negative Konnotationen, also Nebenbedeutungen hatten. Dieser Volksstamm überlebte hunderte von Jahren in den Wäldern von Gorontalo durch die Jagd und Kultivierung.
“Vor allem die Indonesische Regierung möchte ihre Lebensstile verändern, sie modernisieren und sie aus dem Wald in die Dörfer umsiedeln – aber für was?”
fügte Marahalim Siagian hinzu.
Fünf Monate nach unserem Besuch im Jahr 2012 erfuhren wir von Pak Odin, dass Baba Manio verstorben sei. Ein Grund für den Clan sich tiefer in die undurchdringlichen Gebirgsregenwälder der Boliyohuto-Bergkette zurückzuziehen.
Text & Fotos (außer speziell markierte Fotos): Michael Leitzinger
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