Letztes Jahr verbrachte ich den Winter in Taghazout*, einem kleinen Fischerort in Marokko. An einem Nachmittag schlenderte ich aufmerksam durch die lebendigen Straßen. Dabei fiel mein Blick auf einen alten marokkanischer Mann, der mit eng angewinkelten Beinen an ein Haus gelehnt im Schatten hockte. Ich schätzte ihn auf 70. Vermutlich war er bereits 80. Als der Muezzin zum Gebet rief, sprang er augenblicklich auf und verschwand in Richtung Moschee.
Dieser kleine unscheinbare Moment beeindruckte mich nachhaltig.
Denn während ich dem Mann hinterher blickte, stellte ich mir einen älteren Mann in Deutschland vor. Erstmal würde dieser mit Sicherheit nicht am Straßenrand, hockend, auf den anstehenden Gottesdienst am Sonntag warten. Und des Weiteren sahen seine Bewegungen in meinem Kopfkino viel langsamer und beschwerlicher aus.
Daraufhin begann ich wieder viel über das Thema „Auf dem Boden sitzen“ nachzudenken. Meine Gedanken möchte ich in diesem Beitrag mit dir teilen. Bedenke jedoch, dass ich weder Ärztin noch Physiotherapeutin bin. Ich spreche vor allem aus eigener Erfahrung. Bilde dir also unbedingt deine eigene Meinung.
* Taghazout ist ein kleines Fischerdorf an der Atlantikküste von Marokko. Am besten erreichst du Taghazout über den internationalen Flughafen Agadir. Bekannt ist der Ort vor allem für weltklasse Surfspots wie dem Anchor Point, vielen süßen Cafés am Meer und dem Paradise Valley, einer grünen Oase voller Palmen, Wasserbecken und zur Regenzeit sogar Wasserfällen.
Wie oft sitzt du eigentlich auf dem Boden?
Wie oft sitzt du in deinem Alltag auf dem Boden? Wie häufig sitzen Kinder vergleichsweise auf dem Boden? Wie oft veränderst du deine Sitzpositionen über den Tag verteilt? Wie vielfältig sehen die Sitzpositionen von Kindern im direkten Vergleich aus?
Beantworte dir einmal diese Fragen und lies dann weiter.

14 Stunden des Tages verbringt der Mensch durchschnittlich im Sitzen.
DerStandard.AT
Viele Menschen in unseren Breitengraden sitzen die meiste Zeit auf Stühlen, Autositzen, Sesseln oder Bänken in der immer gleichen Haltung. Selbst auf dem Klo thronen wir wie kleine Könige.

Da ich bereits in sehr jungen Jahren Probleme mit Rückenschmerzen hatte, musste ich mich schon früh mit gesunden, abwechslungsreichen Sitzpositionen auseinandersetzen. Denn von 0-8-15-Stühlen bekam ich nach kurzer Zeit bereits Rückenschmerzen. Wann immer es also möglich war, wartete ich in der Hocke auf dem Boden oder saß vor statt auf der Couch mit angewinkelten Beinen auf dem Teppich.
Dann ging es mit 19 nach Seoul*, der Hauptstadt Südkoreas. Ein Jahr in diesem Land bestätigte meine negative Haltung zu Stühlen und ich fühlte mich schon nach kurzer Zeit wie befreit. Endlich war auf dem Boden sitzen (und schlafen) normal. Ich durfte hautnah miterleben, wie unflexibel und steif viele junge Austauschstudenten im direkten Vergleich zu Südkoreaner und Südkoreanerinnen waren. In Seoul lernte ich somit entspannt auf dem Boden zu essen sowie auf dünnen Futon-Matratzen zu schlafen.
Nach einem Jahr Südkorea ging es weiter nach Indonesien, Vietnam und Thailand. In Südostasien fand das Leben dann noch mehr auf dem Boden statt. Es wurde nicht nur auf dem Boden gegessen, sondern auch oftmals im Hocksitz gearbeitet und im Schneidersitz gebetet oder stundenlang Gamelan gespielt.
* Seoul ist eine einzigartige ostasiatische Metropole, in der Moderne und Tradition in jeder Straßenecke aufeinanderprallen. Bekannt ist die Stadt, die niemals schläft, vor allem für ihre bunte Restaurant- und Nachtszene und den typischen Alltag zwischen koreanischen Spas, chaotischen Märkten und blinkenden Reklametafeln mit Hangul-Zeichen.

Des Weiteren finden in vielen Ländern Südostasiens Toilettengänge traditionell im Hocken statt, was ich nach einer Weile als viel natürlicher empfand.
Natürlich nutzen Menschen in Südostasien auch immer häufiger Stühle oder Hocker, aber immerhin habe diese oftmals unterschiedliche Höhen, wodurch man nicht immer in der gleichen Position verharrt bzw. feststeckt.

Während meiner Zeit in Asien begann ich mir immer mehr Fragen zu stellen.
Wieso sitzen Erwachsene in unseren Breitengraden so selten auf dem Boden? Wieso finden fast alle Religionen auf dem Boden statt (z. B. Buddhismus, Islam oder Hinduismus) – wohingegen im Christentum auf ungemütlichen Bänken gebetet wird? Wieso gibt es keine Klassenräume voller Sitzkissen statt starren Holzstühlen, die man noch nicht mal kippeln darf? Wieso halten wir Menschen, die auf dem Boden sitzen so schnell für Hippies oder gar Obdachlose? Wieso lernen Kinder „still sitzen“ sei richtig?
„Die dümmste Erfindung in unserem westlichen Kulturkreis ist der Stuhl“
Günter Vogel, Anthropologe

Und wieso haben Menschen in Ländern, wo sich das Leben oftmals auf dem Boden abspielt, weniger Probleme mit Hüften, Rücken oder Knien und leiden außerdem seltener an Krampfadern oder Hämorriden?
Ein paar Antworten dazu habe ich gefunden. Aber erstmal möchte ich darauf eingehen, wie einfach es auch in unseren Breitengraden ist, häufiger auf dem Boden zu sitzen.
Auf dem Boden sitzen im Alltag: Geht das überhaupt?
Es gibt viele Möglichkeiten, wie du dir in deinem Alltag angewöhnen kannst, häufiger im Schneidersitz, Fersensitz oder in der Hocke zu sitzen.
Denn am Ende geht es vor allem darum, „aktiver“ zu sitzen, also seine Sitzpositionen häufiger zu wechseln. Und das fällt einem auf dem Boden einfach viel einfacher als auf einem handelsüblichen Stuhl, der einem kaum Spielraum zur Bewegung gibt.
Am besten richtest du dir demnach bestimmte Bereiche in der eigenen Wohnung so ein, dass du quasi dazu „gezwungen“ wirst, häufiger auf dem Boden zu sitzen bzw. mehr zu stehen, gehen oder hängen.
Jeder, der mich besucht, ist erstmal irritiert. Kein Sofa? Kein Bett? Kein Esstisch? Kein Schreibtischstuhl? Im Folgenden gehe ich auf ein paar Beispiele ein, wie ich persönlich das Bodensitzen im Alltag etabliert habe. Vielleicht ist der ein oder andere Punkt auch was für dich.
1 | Auf dem Boden essen
In meiner Wohnung esse ich auf dem Boden an einem niedrigen Bambustisch. Dabei wechsle ich am liebsten zwischen dem Schneidersitz und der gespreizten Beinstreckung (Upavistha Konasana), wodurch ich meine Adduktoren und Hüften beim Essen nebenbei geschmeidig halte.
Das klingt jetzt vielleicht nach Arbeit oder unnatürlich, aber für mich sind diese Haltungen unglaublich gemütlich.
2 | Dynamischer Arbeitsplatz
Des Weiteren habe ich mir einen Paleo Chair anstelle eines normalen Schreibtischstuhl zugelegt. Der „Klotz“ hat meinen Arbeitsplatz revolutioniert. Auf der großen Sitzfläche variiere ich ständig zwischen Schneidersitz, Schmetterling, Fersensitz, Hocke und Verdrehungen ohne Namen.
Mithilfe eines zusätzlichen Keils, den man unter die Sitzfläche schiebt, verändert sich der Winkel und somit die Neigung der Sitzfläche. Somit erreicht man noch mehr Variabilität in den vielen Stunden, die ich an meinem Arbeitsplatz verbringe.
Als Backup habe ich noch meinen „alten“ Schreibtischstuhl, den ich jedoch nur noch sehr sehr selten nutze.
Neben meinem sitzenden Arbeitsplatz habe ich noch einen Stehtisch mit einem zusätzlichen höhenverstellbaren ergonomischen Arbeitshocker (mein Modell ist leider nicht mehr verfügbar, aber es gibt viele andere Modelle in der Art). Besser wäre es natürlich einen höhenverstellbaren Schreibtisch zu haben, sodass man zwischen Sitzen und Stehen am gleichen Tisch variieren kann.
Und wann immer es während der Arbeit möglich ist, laufe ich von A nach B (z. B. beim Telefonieren oder WhatsApp schreiben) oder arbeite auch mal im Liegen (z. B. beim Anschauen von Onlinekursen, Lesen von Artikeln oder Youtube-Tutorials). Neben meinem Schreibtisch habe ich zudem eine Klimmzugstange, an der ich mich zwischendurch immer mal aufhänge, um meine Bandscheiben zu entlasten.
Das Entscheidende ist einfach, die Positionen beim langen Arbeiten vor dem Bildschirm regelmäßig zu wechseln.
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3 | Bodensofa statt Couch
Statt einer Couch gibt es bei mir eine gemütliche orientalisch-asiatische Sofaecke aus Boden Sofas, u.a. mit den Klappmatratzen von Asia Wohnstudio. Auch hier zwinge ich meinen Körper zu diversen Sitz- und Liegepositionen und übe mehrmals am Tag den Weg vom Schneidersitz ins Stehen aus.
Bodensofas haben aber auch so viele Vorteile, da sie sehr leicht, einfach zu verstauen und vielseitig einsetzbar sind. Sie sind oftmals so gemütlich, dass man entspannt eine Stunde lesen kann, aber ungemütlich genug, dass man keinen Serienmarathon durchhält, was ich persönlich als positiv einstufe.
Und neben uns Zweibeinern soll ein Sofa auf dem Boden auch besser für kleine Vierbeiner sein, da sie nicht so hoch springen müssen, was ihre Knochen langfristig schaden soll.
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4 | Klohocker vor der Toilette
Achja, und vor meinem Klo steht ein Klohocker, wodurch die natürliche Hocktoilette simuliert werden kann, was den Darm unterstützt und besser für die Verdauung sein soll.
Die Gastroenterologin Giulia Enders sagt in ihrem Bestseller Darm mit Charme zudem, dass Klohocker u. a. Hämorrhoiden vermeiden sollen.
„Die Hocke ist schon seit Urzeiten unsere natürliche Kloposition“
Giulia Enders
Schon verrückt, dass es in Asien kein Problem zu sein scheint, noch im hohen Alter in der Hocke mehrmals am Tag seine Geschäfte zu erledigen, aber in unseren Breitengraden Toilettenaufsätze für zu niedrige Toiletten für ältere Menschen ein Standard sind.
Wer hat sich Stuhltoiletten eigentlich ausgedacht? Und wieso?

Vorteile vom Bodensitzen
Natürlicherweise wechselst du auf dem Boden häufiger deine Sitzposition, da es irgendwann ungemütlich wird, die Füße einschlafen oder die Knie weh tun. Dadurch nutzt du das komplette Bewegungsrepertoire deines Körpers, aktivierst unterschiedliche Muskeln und Gelenke und bleibst einfach in Bewegung.
Das Thema ist auch schon in Schulen angekommen ist. Das Konzept der „bewegten Schule“ bestätigt, dass der Mensch nicht zum Sitzen geschaffen ist. Dynamisches Sitzen sollte also auch in Schulen gefördert werden.


Tipps für verschiedene Sitzpositionen auf dem Boden, und wie du diese richtig durchführst, erfährst du hier.
Das Sitzen auf dem Boden soll viele Vorteile mit sich bringen. Aaron Alexander ist ein kleiner Experte in dem Themengebiet. In seinem Buch The Align Method hat er ein ganzes Kapitel dem „Floor Sitting“ gewidmet und in seinem Podcast geht er auf die Vorteile des natürlichen Sitzen auf dem Boden ein und wie man „richtig“ auf dem Boden sitzt.
Aaron Alexander sagt, dass ein gesunder Mensch eigentlich dazu in der Lage sein sollte, in einem „Zug“ vom Hocken oder vom Schneidersitz ins Stehen zu gelangen. Probiere es unbedingt mal aus, höre dir den Podcast an und lies dann weiter.
Ein paar Vorteile des natürlichen Bodensitzen fasse ich dir im Folgenden zusammen:
1 | Fördert die natürliche Stabilität unseres Bewegungsapparats
Ohne die Unterstützung eines Stuhls sind wir dazu gezwungen, unsere Rücken- und Rumpfmuskulatur gezielt einzusetzen und somit zu stärken.
Durch die stetige Veränderung unserer Sitzposition auf dem Boden, werden zudem stets andere Muskeln aktiviert, wodurch keine einseitige Beanspruchung von bestimmten Muskeln stattfindet, wie es auf Stühlen oftmals der Fall ist, wodurch sich diese letztendlich verhärten und verspannen.
2 | Fördert die Flexibilität und Mobilität unserer Hüften, Beine und Füße
Einige Körperhaltungen, die wir auf dem Boden oftmals ausüben (wie z. B. das Hocken oder der Fersensitz) zählen zu den „aktiven Ruhepositionen“. Sie erfordern mehr Muskelaktivität als das Stuhlsitzen.
Beim Stuhlsitzen hingegen werden unsere Hüften, Knie, Beine und Füße steif. Wenn wir auf dem Boden sitzen, fördern wir also die Flexibilität unserer Hüften. Gleiches gilt für unsere Beine, Knie, Füße sowie unser Gesäß.
Vielleicht ist dies auch der Grund, warum es weniger Hüftprobleme in Ländern gibt, wo sich das Leben mehr auf dem Boden abspielt.
3 | Verringertes Risiko für Zivilisationskrankheiten
Laut Dr. Martin Oswald können Zivilisationskrankheiten wie Krampfadern, Hämorrhoiden, Migräne, Mestruationsbeschwerden, Krebs im Enddarm oder hoher Blutdruck, u. a. auf das Stuhlsitzen zurückgeführt werden.
Demnach soll jede Stunde Stuhlsitzen unserer Gesundheit langfristig schaden.

Nebenwirkungen vom Bodensitzen
Obwohl das Sitzen auf dem Boden viele Vorteile hat, kann eine falsche Ausführung auch zu Problemen führen.
Mögliche Nebenwirkungen sind u.a. eine zusätzliche Belastung für die Gelenke oder reduzierte Durchblutung der unteren Gliedmaßen. Deswegen ist es so wichtig, auch beim Bodensitzen regelmäßig die Position zu wechseln.
Außerdem ist es wichtig, sich auch auf dem Boden nicht hängen zu lassen. Denn falsches Sitzen auf dem Boden kann auch zu Rückenschmerzen führen.
Das Sitzen auf dem Boden ist demnach möglicherweise nicht ideal, wenn bereits Probleme mit den Hüften, Knien oder Knöcheln bestehen. Hier sollte eine langsame Gewöhnung ans Bodensitzen stattfinden und Rücksprache mit Ärzten gehalten werden.
Bedenke, dass ich weder Ärztin noch Physiotherapeutin bin. Ich spreche vor allem aus eigener Erfahrung. Bilde dir also unbedingt deine eigene Meinung.

Was ist deine Meinung zum Sitzen auf dem Boden, Stuhlsitzen, Hocktoiletten & Co.? Bist du Team „Stuhl“ oder Team „Boden“? Her damit in den Kommentaren!
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