„Demokratie wie noch nie“
Ascan Breuer, geboren 1975 in Hamburg, deutsch-chinesisch-indonesischer Abstammung, lebt als Filmemacher, Medienkünstler und Kulturwissenschaftler in Wien, lehrt visuelle Anthropologie an der Universität Wien.
Seine Werke beschäftigen sich vorwiegend mit den Themen Flucht, Freiheit, Migration, Macht und Emanzipation. Zurzeit läuft seine Doku JAKARTA DISORDER in deutschen Kinos, die auch schon durch Kirgisistan und Indonesien getourt ist.


Wie ist die Idee zur Doku entstanden?
2006 bin ich nach meinem Studium nach Indonesien geflogen, um erstmals die ehemalige Heimat meiner Mutter kennenzulernen. Sie kam Anfang der 1960er Jahre zum Studieren nach Deutschland.
Seit der Errichtung der Suharto-Diktatur Mitte der 1960er Jahre haben dann viele aus meiner Familie das Land verlassen. Aus diesen Gründen ergab sich für mich auch nie die Gelegenheit dorthin zu reisen.
Mich interessierte einerseits die Gesellschaft des Landes, die sich ja seit 1998, dem Sturz der Diktatur, in einem Demokratisierungsprozess befindet. Bei meinen Recherchen habe ich mein Augenmerk zuerst auf die Zivilgesellschaft gelegt, die ja maßgeblich dazu beigetragen hatte, dass sich die Demokratie wieder etablieren konnte.
Ich habe zig Interviews geführt mit Feministinnen, Künstlern, Filmemachern und anderen Aktivisten. Dabei habe ich auch Wardah Hafidz kennengelernt, eine Heldin von JAKARTA DISORDER, die mir von ihrer Idee erzählte, mit ihren Freunden in den Präsidentschaftswahlkampf eingreifen zu wollen, um für die Rechte der Armen kämpfen.

Ein weiterer Anlass für mich war meine persönliche Faszination für Megacities, weshalb ich die Stadt selbst als Hauptprotagonistin in den Mittelpunkt stellen wollte.

Was für Themen behandelt die Doku?
Es geht weniger um Jakarta und Indonesien an sich, als vielmehr um Prozesse, die für viele Menschen, auch für uns in Europa, eine Rolle spielen:
Um die Frage, ob die bloße Institutionalisierung eines demokratischen Systems reicht, oder ob Demokratie nur dann sinnvoll ist, wenn sie auch mit Leben gefüllt wird und von den Menschen getragen wird.
Auch der Prozess der so genannten Gentrifizierung in den Städten und die damit verbundene Vertreibung ganzer Bevölkerungsteile auf die eine oder andere Weise, ist für viele Menschen Realität, ob in Jakarta, Istanbul oder Sao Paulo.

Im gewissen Sinne stellt sich diese Frage aber auch für uns in Europa und Deutschland. Und dann ist da die Frage nach der Möglichkeit der Selbstermächtigung und Partizipation von entmachteten und unterprivilegierten Bevölkerungsteilen.

Welche Hauptcharaktere gibt es?
Im Fokus stehen zwei Frauen um die 60, die aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten kommen: Wardah Hafidz ist eine Intellektuelle, der Kopf der Bewegung, und Nenek (Oma) Dela, wie sie sich selbst nennt, die in Slum lebt.
Wardah kämpft seit 20 Jahren für die Rechte der Armen in Jakarta und ist Gründerin des „Urban Poor Consortiums“. Sie versucht den Armen ein neues Selbstbewusstsein zu vermitteln, den Status Quo und die Ausbeutung durch die superreichen Eliten einfach hinzunehmen.
Das ist ein ambitioniertes Unterfangen, weil ja die vom Westen installierte antikommunistische Militärdiktatur über Jahrzehnte etwas anderes gelehrt hatte. Oma Dela ist eine, die sich durch Wardah und ihre Philosophie ermutigt fühlt und im Laufe des Films ungeahnten Elan entwickelt.
Außerdem gibt es eine ganze Anzahl an Menschen, die wir „im Vorbeigehen“ kennenlernen.
Aber die tatsächliche Heldin des Films ist die Stadt selbst, mit samt ihrer Einwohner, wie sie lebt und bebt, wie sie raucht und staubt, wie sie lärmt und glitzert.




Was hältst du persönlich von dem Leben in Jakarta und den „Superblocks“ als Lösung des „Chaos“?
Ich fühle mich vom lebendigen Chaos von Megacities angezogen. Aber ich persönlich halte das höchstens ein bis zwei Monate aus.
Es ist ein hartes Leben: Der Stress und die Umweltverschmutzung gehen schnell an die Substanz, wenn man es nicht gewöhnt ist. Deshalb bewundere ich die Einwohner umso mehr.
Insbesondere bewundere ich die Armen um ihre physische und psychische Stärke. Deshalb ist Jakarta Disorder auch eine Hommage an sie.
Ich habe von ihnen viel gelernt über Menschenwürde und über die essenziellen Dinge des Lebens.

Der Film ist auch eine Gegenrede zur üblichen Vorstellung von „wilden“ Slums, die ja weltweit in Verruf sind.
Auch die Armutsbekämpfer beispielsweise der UNO, aber auch all die rührigen Entwicklungshelfer aus dem Westen sind ja der festen Überzeugung, dass es nur zum Besten der Armen ist, wenn sie in Betonburgen gepfercht werden.
So wie es ja schon überall schon seit Jahrzehnten getan wird: in Paris, Berlin, New York genauso wie in den Entwicklungs- und Schwellenländern.
Dass es dort Probleme gibt, wird ja der reinen Undankbarkeit und Lebensunfähigkeit der Armen zugeschrieben, und nicht der Lebensfremdheit der Architekten und Entwickler, die das ohne Sinn und Verstand hochziehen – und dabei ein Heidengeld verdienen.
Deshalb bemüht sich der Film auch nicht sehr um „Objektivität“, weil ich eben jene zu Wort kommen lassen möchte, die sonst nie zu Wort kommen, deren Sicht der Dinge nie beachtet werden.
Es gibt eine Studie vom „Urban Poor Consortium“, die zeigt, dass ein soziales Miteinander in Wohnhäusern umso schwieriger wird, je höher gebaut wird.

Empfohlen wird darin deshalb, die Häuser nicht höher als vier bis fünf Stockwerke zu bauen.
Im Deutschen kennen wir ja den Begriff der „Arbeiterschließfächer“: Ab einem gewissen Punkt verunmöglicht die Architektur soziales Miteinander, also die soziale Selbstkontrolle der Bewohner, und dann kippt es wie in den Pariser Vorstädten.
Was bedeutet der eigene „Kampung“ für die Menschen in den Slums?
„Kampung“ bedeutet eigentlich „Dorf“. Und das beschreibt die realen sozialen Strukturen in den Slums Jakartas ganz gut, auch wenn immer etwas anderes behauptet wird.
Als ich mit dem Projekt anfing, haben mich viele Wohlmeinende aus der Mittelschicht gewarnt, überhaupt dorthin zu gehen. Sie haben allerdings meist auch noch nie so ein Kampung betreten.
Ich möchte nicht sagen, dass es dort keine Kriminalität gibt. Sicher wohnt da auch so manches Gesindel, es gibt Jugendgangs und mafiöse Strukturen.
Aber tatsächlich ist es dort sogar sicherer als außerhalb, weil es eben noch funktionierende soziale Selbstkontrolle gibt, die verhindert, dass die üble Tat vor der eigenen Haustür passiert.
Eher wird man außerhalb der Kampungs überfallen oder beklaut als innerhalb. Jeder kennt dort jeden und es wird schnell von der Community sanktioniert, wenn du Mist baust.
Andererseits kannst du dich dort schnell integrieren, wenn du, wie die vielen Millionen anderen auch, vom Land kommst, um dein Glück in der Stadt zu suchen.

Die Kampungs sind ethnisch sehr vielfältig. Mich hat es immer gewundert, dass es dadurch nicht zu sozialen Spannungen kommt, weil es ja doch viele Vorurteile unter den verschiedenen Volksgruppen des Vielvölkerstaats Indonesien gibt.

Wie lange habt ihr daran gearbeitet und wie viele Leute gehörten zum Team?
Ich habe 2007 mit dem Wiener Kameramann Victor Jaschke angefangen zu drehen. Die Hauptdrehs fanden aber 2009 zu den damaligen Präsidentschaftswahlen und 2011 statt.
Victor kam damals zum ersten Mal nach Indonesien und hat sich in Jakarta verliebt, allerdings erst nachdem er einen heftigen Kulturschock überwunden hatte.
Dann hat er beschlossen, seinen Lebensmittelpunkt dorthin zu verlegen. Das war sehr fruchtbar für das Projekt, weil ich selbst dazu nicht die Möglichkeit hatte. Viel wurde dann von ihm selbst auf eigene Faust gedreht, so dass er zum Co-Regisseur des Films wurde.
Beim Dreh konnten wir immer wieder auf die Hilfe von indonesischen Freunden zurückgreifen, die ich meist schon während meiner Recherchen kennengelernt hatte: vor allem junge Journalisten und Filmemacher, die uns als Interviewer und Guides zur Seite standen.
Den Schnitt musste ich aus finanziellen Gründen dann selbst in Angriff nehmen. Da wir über 200 Stunden Material gesammelt hatten, war das eine sehr langwierige Angelegenheit.
Ich habe dazu über ein Jahr gebraucht, wobei mir wiederum viele Wiener Filmemacher als Ratgeber zur Seite standen – vor allem unser Produzent Arash T. Riahi, der mein enger dramaturgischer Berater war.

Wurden euch Steine in den Weg gelegt?
Eines der größten Probleme ist das totale Desinteresse der etablierten Institutionen der hiesigen Filmförderung an Themen, die nicht direkt Deutschland oder Europa betreffen. Es war unmöglich für uns, deutsche Fördergelder zu bekommen.
Sie wurden uns mit der Begründung verwehrt, dass der Bezug zu Deutschland fehle. Das gilt auch für die Fernsehsender: Eine Oma mit Motorrad in Bayern ist für die Leute, die auf diesen Stellen sitzen, weitaus interessanter als eine Demokratiebewegung von Armen in Jakarta.
Sie fürchten oft, dass ihre Zuschauer überfordert werden, weil sie zu sehr von sich selbst ausgehen. Deshalb waren unsere finanziellen Spielräume eng begrenzt, und so ich musste den Film selbst schneiden, weil ich mir keinen Cutter leisten konnte.
Auch der gesamte Vertrieb wird von mir selbst organisiert, weil kein Verleih den Film ins Programm nehmen will, wenn keine staatliche Verleihförderung in Aussicht steht.
Die gesamte Filmbranche denkt nur noch in den Kategorien, ob öffentliche Geldgeber subventionieren wollen. Alles andere ist uninteressant.
Und die großen Gelder der deutschen Filmförderung fließen lieber in intellektuell seichte Gewässer. Meiner Meinung nach wird auf diese Weise eine Volksverdummung staatlich subventioniert.

Was würdet ihr im Nachhinein anders machen?
Ich habe viel gelernt bei der Produktion des Films. Deshalb hat es sich auf jeden Fall gelohnt. Beim Dreh sind wir viele Irrwegen gegangen.
Aber das gehört ja dazu, und vor allem habe ich im Schnitt wieder davon profitiert, weil ich dadurch die Möglichkeit hatte, auf ein großes Arsenal an Material zurückgreifen zu können.
Nochmal werde ich aber ein Filmprojekt so leider nicht mehr durchführen können, weil ich mittlerweile eine Tochter habe und ich es mir nicht leisten kann, so viele Jahre in ein Projekt zu stecken, ohne daran zu verdienen.
Was wollt ihr mit dem Film erreichen? Was sind eure Ziele?
Wie schon gesagt geht es mir nicht um Indonesien sondern darum, globale Phänomene und Probleme zu behandeln, die jeden etwas angehen.
Gentrifizierung, Demokratisierung, Selbstermächtigung… Jakarta und unsere Heldinnen sind ja nur Beispiele.
Es kann genauso Kairo sein, es können auch zwei junge Männer in Hongkong sein. Der Film möchte einen universellen Diskurs anstoßen.
Deshalb war ich auch sehr glücklich, als mich im September eine kirgisische Menschenrechtsorganisation eingeladen hat, mit dem Film für zehn Tage durch Kirgisistan zu touren und ihn in den Dörfern zu zeigen.

Kirgisistan ist wie Indonesien eine sehr junge Demokratie, erst seit 2010, und immer noch nicht stabil. Das wurde mir dann klar, als einige Vorstellungen kurzfristig abgesagt oder verlegt werden mussten, weil uns der kirgisische KGB dazwischengefunkt hat.
In der Hauptstadt Bischkek wollte der Geheimdienst die Teilnahme des Films am dortigen Internationalen Dokumentarfilmfestival verbieten, was die Festivalleiterin allerdings abgelehnt hatte. Daraufhin ist die Website des Festivals zusammengebrochen. Sie haben uns dann trotzdem den Preis für den besten Film verliehen.
Die Reaktionen der Bevölkerung auf unserer Tour durchs kirgisische Hochland, aber auch das Verhalten des Geheimdienstes haben mir gezeigt, dass der Film relevant ist sogar für Länder, die ich erst auf der Landkarte suchen musste, nachdem ich eingeladen worden bin.
Für einen Filmemacher wie mich ist es eine viel größere Ehre und Freude, wenn ich mit dem Film eine alte Frau in der hintersten Ecke Kirgisistans ermutigen kann, als irgendwelche roten Teppiche bei irgendwelchen großkotzigen Filmfestivals. Diese sind nur wichtig für das persönliche Renommee, für meine eigene Eitelkeit, fürs Geldverdienen, für die Ermöglichung weiterer Filmprojekte.

Wann und wie können meine Leser die Doku sehen?
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- Fr, 19.06., 13:00 Uhr – BRISTOL (UK), Royal Anthropological Institute | RAI Int. Festival of Ethnographic Film
- Sa, 20.06., 17:30 Uhr – FREIBURG, Kommunales Kino
- Do, 2.07., 18:30 Uhr – KÖLN, Alte Feuerwache DIG – Deutsch Indonesische Gesellschaft Köln
- Fr, 3.07. – BONN, Universität
- Mo, 6.07., 20:00 Uhr – WOLFENBÜTTEL, Filmpalast
- Di, 7.07., 10:00 Uhr – WOLFENBÜTTEL, Gymnasium im Schloss (oder Filmpalast)
- Die DVD zum Film ist mittlerweile auch bei Amazon erhältlich
Das Interesse des Publikums ist groß, das der Kinobetreiber leider weniger, weil sie eben nur Filme spielen wollen, die einen Verleih inklusive staatlicher Verleihförderung haben.
Aber ich bin weiter im Gespräch mit einigen. Aus den strukturellen Gründen sind wir angewiesen auf die Initiative von zivilgesellschaftlichen, studentischen oder akademischen Institutionen. Viele Vorführungen wurden von diesen organisiert.
So wurden unsere Kinovorstellungen in Hamburg vom Asien-Afrika-Institut der Uni Hamburg ermöglicht. Wir hoffe, dass wir weitere Partner in diesem Bereich finden.
Die einzige Möglichkeit für uns, Interessierte aktuell zu informieren, ist unsere Facebook-Seite. Wer also auf dem Laufenden gehalten werden will oder uns unterstützen möchte, kann uns dort gerne liken.
- Weitere Informationen gibt es auf unserer Website
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